Donnerstag, 29. November 2007

15. Sicht-Waisen

Wenn erst eine gewisse Anzahl an Lenzen das Leben zählbar macht,
dann sind die körperlichen Defizite einfach nicht mehr zu ignorieren.
Der Körper sendet immer häufiger Schmerzsignale aus,
während dessen das Senden geistiger Signale leider im zunehmenden Maße häufiger einfach ausbleibt.
Und zu allem Übel benötigt die bloße Betrachtung der Vergangenheit eine Gehhilfe nach der anderen.
Also
ACHTUNG!
Geist an Krücken!
Dies ist eine davon . . .


Wieder einer dieser Aqua-Hardcore-Shopping-Samstage.
S. aus H., jetzt in N. wohnhaft, sank kraftlos auf seinem Stuhl zusammen und reanimierte sich mittels einem doppelten Senseo und einem Zigarillo. Abwechselnd hatten er und B. aus W., ebenfalls jetzt in N., die Karten auf den Tisch gelegt. Wie oft mussten die kleinen, dünnen Plastikkarten heute wieder ran, um für einen Moment ihr Dasein in der wohligen Dunkelheit der Portemonnaies aufzugeben und sich von gierigen Mündern robotisierter Vampire ein ums andere Mal ein Stück Seele transplantieren zu lassen?

Ach, die Plastikkarten, arme kleine Dinger.

Böse Maschinen,
verflucht sollt ihr sein und
ersticken an eurer Verdammnis!

Zumindest ein Teilerfolg war für diese "Tour du consum" ja zu verbuchen. Ausschließlich leblose Güter hatten Einzug gehalten, totes Material und kein einziges Tier. Zugegeben, wer dieses Potpourri ausgebreitet vor sich liegen sah und daraus den trügerischen Schluss zog, dass es hiermit getan war, der irrte. 5 Glasscheiben, in rechten Winkeln zueinander mittels einer Gummimasse verbunden.

Na, das war doch leicht zu erraten???


KORREKT ALDAR,
IS SICH AQUARIUM MIT DIE SECHSUNDDREISSIK KOMMA FUMF LITTA EEY, KRASSES GERRÄT!


Da die sündhaft teuren Microrasbora Galaxy (die "neue" Bezeichnung wird schlichtweg boykottiert) sich kollektiv zum Ableben entschieden hatten, dies dann auch ohne Angabe von Gründen binnen 2 Tagen einfach mal in die Tat umsetzten, herrschte seelischer Notstand bei B.! Und es musste Ersatz her. S. aus H. wusste, hatten sich ab und zu mal die Gelegenheiten ergeben, anstehende Entscheidungen in Sachen Fisch und Co. kontrovers zu debattieren, so war bei dieser Frage die Devise ergreifend schlicht:

Jetzt mal ganz einfach FRESSE HALTEN !

Ne, ne, bei dem ehemaligen "IchbingefrustetundkaufmirjetztFische"-Ding von B. aus W. war es quasi historisch bedingt zwingend, dieses Thema mit Glacé-Handschuhen anzugehen, wenn überhaupt. Von B. aus W. wurde auch kurz entschlossen eine gänzlich neue Taktik verfolgt: Codename "Artenbecken".

Wer die bis bislang aufgereihte Glasmeile in der Behausung der Protagonisten entlang schritt, sah sich Becken für Becken immer mit einem jovialen Mix an Bewohnern konfrontiert. Eine Vielzahl an Bewohnern schwamm da einträchtig und praktizierte das Miteinander. Und jetzt plötzlich eine Kiste mit nur einer Sorte Fisch drin? Upps, das bot nun aber reichlich Stoff für irritierende Spekulationen:


W
ie lange würde sich dieser Zustand aushalten lassen?

Würden die Vereinten Nationen und der Welt-Sicherheits-Rat dem Plan zustimmen?

W
aren Klingonen und Romulaner informiert, oder drohte ein interstellarer Zwischenfall?


Oder würden sich gar politisch dubiose Individuen daran machen, diese abrupte Kehrtwende als fadenscheinigen Vorwand für die Etablierung einer neuen Weltordnung zu nutzen? S. aus H. sah sich bei dem Gedanken daran schon ärgsten moralischen Zweifeln ausgesetzt. Eben noch nur ein Becken gekauft und schon sollte die Welt so wie er sie kannte Geschichte sein? Die Chaos-Theorie abermals verifiziert durch einen Glasbehälter? S. neigte vorsichtig den Kopf und unterzog den Inhalt seiner Kaffeetasse einer oberflächigen optischen Kontrolle und hielt darauf hin das Zigarillo in die Höhe und gegen das Licht. Verdammt nochmal, hier war doch bestimmt irgend ein Zeug im Spiel? Mit dem Ergebnis "Kaffeesorte wechseln" und künftig die kurzen Lunten aus dem Gesicht zu lassen konnte sich doch das Raum-Zeit-Kontinuum nicht retten lassen . . .,
*schluck* . . . oder etwa doch?

Die Vorstellung an eine aquaristische Monokultur wollte ihm zwar nicht so recht behagen, aber B. hatte ja Pläne, die weit über die bloße Haltung hinaus gingen.
Kontrollierte Vervielfältigung, gezielte Massenproduktion, industrialisierte Vermehrung, aber immer schön nur für den Hausgebrauch?

Ein Wochenende später, andere Zeitrechnung, aber Duplizität der Ereignisse.
Das Wochenende wurde eingeläutet mit einem weiteren Zuwachs der ohnehin schon vielzähligen Gemeinde namens Otocinclus cocama. Tags drauf Baumarkt des Vertrauens und nachmittags Börse in der Großstadt, geplante Ergänzungslieferung der Burmesischen Prachtschmerlen, ihrer 3 und 2 x Herzdame Galaxy für die beiden Böcke, die dem Freitod entsagt hatten. Bisschen Buntes und anderen SchnickSchnack konnte man ja auch immer gebrauchen, Ziel erreicht, wirtschaftlicher Ruin vollzogen. Abfahrt Richtung Heimat, auspacken, Fische einquartieren, ab in die Heia.
Wow, das nannte man also im Volksmund "sinnvolle Freizeitgestaltung", oder abgekürzt und gerade heraus: "Hobby!"

S. aus H. leerte seinen Becher im Gedanken an diese Stunden in einem Zug.
Da gab es diese Weisheit: "Nie mehr Hunde haben, als Hände zum Streicheln da sind."
Und was galt da bei bei Fischen?

Ohne eine Antwort auf diese Frage löschte er das Zigarillo,
erhob sich, löschte das Licht und wandte sich gen Schlafzimmer.

Ja, wenn die Buben erst aus dem Haus sind, ja dann könnte man . . .
Oder nicht?

14. Wenn der Schwanz mit dem Hund wackelt

Aufgrund mehrfacher Nötigung durch eine bestimmte Person,
füge ich mich in mein Schicksal.
Aber wen zur Hölle interessieren bitte schön Wasserwechsel, Besatzfragen und CO2-Defizite?

Ach, SIE ?

Stimmt ja, das ist ja hier ein Forum für Aquaristik.

Sehen Sie, hatte ich bereits wieder vergessen.
Und Sie hegten Zweifel an meinen Behauptungen über meine mentale Verfassung?


---------------------------------------------

Zeit war vergangen.

Viel Zeit.

Die Dinge entwickelten sich.
Vornehmlich in aquaristischer Hinsicht.
Zählte man das Becken des Jüngten zum Reigen der Pfleglinge dazu (und das musste man), so galt es mittlerweile, insgesamt fünf Becken Aufmerksamkeit zu schenken. Das des Juniors mit 160 Litern brutto, das 63er war das nächste, dann das 54er, der 12er Brutkasten in der Küche, Big Mama 576, nicht gerade wenig!

Summa
summa
rum
5

Entschieden zu wenig.
Ganz entschieden.

Entschied jedenfalls B. aus W., natürlich auch in N. ansässig und wenn man die Hand mit allen Fingern daran ausstreckte, blieb ja glatt noch eine Hand mit ebenfalls weiteren 5 Fingern frei.
Ein unhaltbarer Zustand der nach Abhilfe förmlich schrie.
Und der Schrei wurde gehört.
Natürlich durch B. aus W.

Inspiriert durch vollmundige Verlockungen aus norddeutscher Richtung kommend (an dieser Stelle vielen Dank an Herrn F. L. aus O.), entstand das zunächst vage Bild eines Kaltwasserbeckens mit entsprechenden Insassen.
Wohlgemerkt vor dem geistigen Auge von B. aus W., währenddessen S. aus H. bereits mit 576 die Anzahl der Becken als "reicht!" betrachtete.

Nicht so B.

Diverse Komplettangebote wurden studiert und
SSSSCHWUPPS
war die Riege um ein 112 Liter-Becken reicher.

"Sechs", zählte S. aus H. stumm mit.

Das war natürlich immer noch lächerlich, verglichen mit den Langzeitabhängigen, die hinter vorgehaltener Hand ganz andere Zahlen nannten, fragte man diese mal beiläufig nach der Anzahl ihrer Kästen.
Dabei war dann nicht die Rede von Zuchtregalen, oder sonstigen Glasstraßen, nein, bitte schön nur die, die auch der persönlichen Erbauung dienten.
"Wie bitte? Was war das?"
Eine lapidar hingeworfene "18" eines Gefragten brachte S. aus H. bei so einer Gelegenheit in die Bedroullie, das ein großzügiger Schluck Kaffee plötzlich Unentschlossenheit in Bezug auf seinen weiteren Werdegang und die eingeschlagene Richtung anmeldete. Das hatten die von der Zeitschrift "Schöner W....." wohl nicht gemeint mit Ihrem Tipp, "Eindrucksvoll umdekoriert in nur 2 Minuten!"?

War das jetzt nicht des Guten zuviel?
Das Maß voll?
Das Ende der Fahnenstange erreicht?

B. aus W. hauchte ein von Verlegenheit gefärbtes "Och, kann man eigentlich zu viele Becken haben?"
unter dem Codenamen "Überredung" in die Richtung von S. aus H.

Der stutze.
War das jetzt etwa aus freien Stücken?
Oder steckte da vielleicht irgendeine geheime Organisation dahinter, die sich durch den Einsatz eines virulenten Kampfstoffes die Weltherrschaft der Aquaristik-Industrie und ihrer Mannen auf die Fahnen geschrieben hatte?
Und wenn ja, wer war dazu auserkoren die Welt vor dieser dunklen Macht zu retten?

Er?

JA!

Nein, nicht das Ding mit der Agentengeschichte,
das

JA!

galt immer noch als schlichte Antwort auf die Frage nach der möglichen Anzahl von Becken im Haus.

So mussten sich wohl auch Darwin, Lady Di und O.J. Simpson gefühlt haben, als sie diese Antwort gaben. Zwar im Brustton der Überzeugung, aber schon in Vorahnung dessen, was damit später auf sie zukam.

Okay, das war jetzt die falsche Antwort?
Wenn ein Blick manchmal mehr als tausend Worte sagt, so kamen S. gerade die Bibel, Krieg und Frieden und alle Ausgaben von Perry Rhodan entgegen. Könnte ein dünnes, hastiges "Nein" den Punktestand noch zu seinen Gunsten retten? Ein Zugeständnis zu diesem Zeitpunkt hätte fatale Folgen, daran gab es keinen Zweifel.

Das wieder einer dieser Momente, in denen die Erfahrung des Alters (Sie merken, das oft zitierte Lieblings-Alibi!) diesen dunkel, wabernden Moment des Ungewissen mit Zuversicht füllte.
Also wenn S, jetzt intervenierte, könnte der soziale Frieden in Gefahr geraten.

Wollte er das?

Springen vom 10.Meter-Brett, ohne Wasser im Becken?

Spaziergang mit Schweißerbrille, nachts auf der A2, auf der falschen Seite?

Wohl doch eher sub-optimal.

S. setzte zu einem geschliffenen Dialog von opulentem Ausmaß an:

Äääähhh . . . ja, man kann zu viele Becken haben, aber wir . . .?

. . . sicher nicht!“



Was für ein Statement!

Da ja mittlerweile der Nachzucht ein nicht unerhebliches Maß an Aufmerksamkeit geschenkt wurde, war der Begriff „Aufzucht-Becken“ sowieso permanent gegenwärtig.
So ließ S. aus H. denn die Schultern sinken und zeigte sich kooperativ.
Artig baute er den HMF-Filter in die Neuerwerbung und überließ ihr den Rest.
Selbstverständlich war dann wie erwartet von einem "Aufzucht-Becken" keine Spur mehr.
Kleine Fische, ja, reichlich, aber Aufzucht?


Zurück zum Casus belli . . .

Zwischenzeitlich hatte sich offenbart, das gewaltige 160cm Kantenlänge für ein Becken, das als Raumteiler fungiert definitiv . . .

ZU KLEIN SIND?

Ja doch, irgendwie schon.
(Der Verfasser verspürt einen Anflug von Scham beim Tippen dieser Worte, der allerdings nicht lange anhält)

S. hatte dieses Bild im Kopf gehabt, basierend auf räumlichen Gegebenheiten und das ganze dabei für sich als durch und durch harmonisch bewertet.

Ein Trugschluss etwa?

Auf breiter Front (na gut, bestehend aus immerhin 2 Menschen) wurde einhellig festgestellt, dass der Kiste ja glatt weitere 60cm zur absoluten Perfektion fehlten.
Also so wirkte 576 im Raum geradezu an Größe amputiert, irgendwie schmächtig, ja fast wie so´n Beistelltischchen.

Doch die Größe war mittlerweile nicht das einzige Manko.
Da war das Filterbecken, das zwar stoisch seinen Dienst versah, im nächsten Update aber ganz klar eine andere Aufteilung erfahren würde. Die Hängeleuchte, die bei B. bereits zur mehrfachen Selbstverdammnis gereicht hatte, und, und, und . . .

S. aus H. resümierte.
Also irgendwie doch alles falsch?
Das ganze etwa noch mal von vorn?

HALLO?

GEHT´S NOCH?


Eben gerade in einem Anfall von Größenwahn den Staatshaushalt von Burkina Faso komplett atomisiert und schon das nächste geistige Irrlicht am Horizont?

S. zwang sich zur Beherrschung.

„Man könnte ja noch mit einem Würfel 60x60x60 autonom und autark anbauen?“
Vorbei war´s mit der Beherrschung.

Die folgende Selbstgeißelung ist für Leser unter 40 nicht geeignet!

ZENSIERT!ZENSIERT!ZENSIERT!ZENSIERT!ZENSIERT!ZENSIERT!ZENSIERT!

S. rechnete mal kurz zusammen, was ein echter Goliath mit 220cm so koste würde, während er sich das Handgelenk rieb, an dem er versucht hatte, seine andere Hand davon abzuhalten sich selbst zu ohrfeigen, wenn auch mit unterdurchschnittlichem Erfolg.

Also, neues Becken, Holzplatte wird verlängert, Filterbecken reicht noch, noch mehr Sand und noch mehr Pflanzen und noch mehr Fische.

Na ja, bisschen sparen, das Taschengeld der Kindern in einen politisch inkorrekten, räumlich sehr eng begrenzten Solidaritätszuschlag umwandeln, die Rente beleihen, Pfandflaschen aus Abfalleimern klauen, das Erbe vorzeitig . . .STOP!, das war ja schon weg, Mist!

Also mit echt spitzem Bleistift durchaus im Ruhestand zu realisieren.

Okay, mit etwas Durchhaltevermögen . . .



Epilog

Man schrieb das Jahr 2075.
Die Regentschaft der Aquarianer dauerte nunmehr schon . . .

13. Carpe diem = Asche auf dem Haupt!

Immer wenn ich hier einen Eintrag verfasse, muss ich mich darauf konzentrieren, meine Erinnerung und die tatsächlichen Ereignisse einigermaßen in Einklang zu bringen. Das ist nicht immer leicht, da meine Fantasie mich zuweilen leidenschaftlich mitreißt (soweit man bei mir von "leidenschaftlich" sprechen kann!).
Sollte also beim Lesen der Eindruck entstehen, dass das Geschriebene irgendwie in die Nähe einer geistigen Verwirrtheit abzugleiten droht . . .
Kein Problem! Mein Alter ist dafür immer als Alibi genug!
Ich bin über jeden Anklagepunkt erhaben.



Der Tag würde ihm noch lange in Erinnerung bleiben, dessen war er sich sicher.
Halb verschlafen besah er sich früh Morgens im herandämmernden, fahlen Licht die Überreste des geplatzten Traumes durch die Terrassentür und schüttelte kaum merklich den zerzausten Kopf.

Kaputt.

Einfach so . . .

De facto unabwendbar.

Sich damit abzufinden erschien nicht so einfach, war aber irgendwie notwendig, um das Seelenheil zu wahren und das Durchhaltevermögen am Tropf des Leben zu halten.

So stand er da, inmitten einer Katastrophe, die zum jetzigen Zeitpunkt so gar kein Licht am Tunnel offenbarte, sinnierend über das Geschehene.

S. aus H., jetzt in N. wohnhaft, versuchte der Tragödie in irgend einer Weise etwas Positives abzugewinnen.

Vergeblich.

Auch die Gedanken an die Unverwüstlichkeit der eigenen Moral, das Postskriptum des Seins, das Für und Wieder der Augenblicke, die zu diesem Moment geführt hatten, versprachen keinen echten Trost.
576 war irreparabel und so schien auch die Hoffnung gestorben, bevor alles anfangen konnte.

S. aus H. marinierte in diesem Augenblick kurzerhand die unbequeme Melancholie in unendlicher Geduld, nur um alles zusammen irgendwann später einmal auf dem Grill der Geschichte zu rösten.

Ja, sicher, es gibt auch Stories ohne Happy End,
Dramen epischen Ausmasses und Natur-Dokumentationen, wo der böse Eine den armen Anderen frisst, klar.
Aber verdammt nochmal, doch bitte schön nicht hier!

Es war an B. aus W., auch in N. wohnhaft, den Prozess mittels urplötzlich einsetzender Entschlusskraft zu katalysieren. Irgend jemand musste doch dafür . . . aufkommen?

Schließlich waren es die bis zum Bodengrund ausgeschöpften finanziellen Ressourcen, die ein Weiterkommen vereitelten. Die Schlussfolgerung beschleunigte die Geschehnisse direkt auf Mach 2.

Versicherung.

Natürlich, (einmal ordentlich mit dem Kopf auf die Tischplatte aufschlagen, bitte!)
Versicherung, was denn sonst?
Der Lauf der Zeit katapultierte sich schlagartig in Richtung Zukunft und urplötzlich überschlugen sich die Ereignisse.

Versicherung Erstattung Glasbruch Zeitwert Ersatz Becken Neu Versicherung Erstattung Glasbruch Zeitwert Ersatz Becken Neu Versicherung Erstattung Glasbruch Zeitwert Ersatz Becken Neu Versicherung Erstattung Glasbruch Zeitwert Ersatz Becken Neu

Das Stakkato der immer gleich lautenden Worte stoppte.

S. hatte das Gefühl, aus einer unendlichen Tiefe eines alles verschlingenden Ozeans mit schmerzenden Lungen zurück an die Oberfläche aufgetaucht zu sein. Sauerstoff füllte plötzlich wieder seine Lungen, Blut zirkulierte erneut und trieb unerwartet die lange tot geglaubte Maschinerie wieder an.

Das Schicksal hatte sich gewendet.
Seine Finger huschten über Tasten und sondierten im Netz den würdigen Thronfolger von 576, während B. parallel die Bezahlung sicherte. Ein neues Becken, noch schöner und imposanter sollte neu erstrahlen, schließlich war die Finanzierung ja gesichert. Der Architekt des neuen Glücks war schnell ausgemacht. Er belegte auf der Top Ten der nationalen Glaskastenkonstrukteure zwar nur den 2. Platz, war aber räumlich am nächsten und bestach durch mehrere Jahrzehnte an Erfahrung und erstklassige Bewertungen anderer Käufer.
Schon ein überhastig gesandtes Fax später klingelte das Telefon und der Herr und Meister der Beckenbauer mit seiner ältlich klingenden Stimme selbst war zu hören. Kurze, wenig wortreiche Sätze, diese dafür in Hülle und Fülle drangen an das Ohr von S.

"Wie?"
"Die Zu- und Ablaufbohrungen im Rieselschacht?"
"Nebeneinander?"
"Dann müssen Sie ja mit der Druckseite über den Kamm drübba!"
"Was hat denn Ihr Gestell für Maße?"
"Ich brauch doch Futta für die Bohrungen!"
"Sonst passt dat ja hinterher alles nicht!"


S. bekam eine konkrete Vorstellung darüber, was es heißt, ein Becken zu planen.
Der Mann hatte das Ungetüm schon komplett im Kopf, dabei alle Eventualitäten bedacht, während S. im Sandkasten noch mit Förmchen rumalberte und kleine Törtchen backte.
Hypnotisiert nickte S. verbal auf alles ab, der Mann musste es schließlich wissen. Der Deal war gemacht, der Neuerwerb besiegelt.
Doch wie sollte 576 II. eigentlich von da<- nach ->hier kommen?
Selber abholen?
Wünschenswert, sicher, allein schon deshalb, um dem Maitre mal ordentlich die wahrscheinlich mit Schwielen übersäte, klebrige Tatze zu schütteln und den einen oder anderen Insidertip noch mitzunehmen. Aber das bedeutete auch, frühestens am Wochenende die neue Pracht in Augenschein nehmen zu können. Sorry, aber das war nun leider völlig unvereinbar mit der hitzigen Ungeduld, die die neue Situation entfachte hatte.
Klares "No Go!"

Also den Kurier beauftragt, der schon das Gestell (siehe 6. Teil) herbeigeschafft hatte. Gesagt, getan.
Als S. das Tagwerk hinter sich gebracht hatte, stand auf der Terrasse bereits der Nachfolger. Glänzende Kanten und breite, massive schwarze Nähte demonstrierten eindrucksvoll:

"Vergiss es Bengel, hier geht nix kaputt, ich bin dicht!"

Das 240 Liter Pflanzen-Asyl musste also wieder weichen und Platz machen. S. nahm an, das der arme, gebeutelte Sand ihn mit Hilfe der Pflanzen und eines schmierigen Winkeladvokaten irgendwann auf ein saftiges Schmerzensgeld wegen des Schleudertraumas und eine ordentliche Mietminderung verklagen würde, so oft, wie diese schon das Quartier wechseln mussten. Egal, nun galt Aktivismus in Reinkultur. Die Unterlage wurde ordentlich präpariert, die Holzplatte teilamputiert, damit den Bohrungen auch genügend Platz blieb. Die Unterlage wurde diesmal nicht verklebt, sondern als mehrlagiger Malerfilz nach dem Aufstellen des Beckens einfach an den Rändern akkurat abgeschnitten. Nun war wieder der Klempner dran. S. hatte das erste System noch im Gedächtnis, das zwar grundsätzlich funktionierte, aber eben den Ansprüchen in punkto "Trockenheit" nicht genügte. Er modifizierte einige Details und schickte sich an, die Verrohrung erneut zu montieren. Die beiden Durchführungen wurden gesetzt und geschraubt und mittels 1-2 Liter Wasser auf Dichtigkeit hin überprüft. So weit, so gut.
Flugs wurden Zu- und Ablaufrohr schon mal gesteckt und diesmal der Rieselschacht ordentlich geflutet.


Moment, war das da eben Feuchtigkeit an seinen Fingerspitzen?

Schluck, wo kommt denn der Tropfen da plötzlich her?

S. schnürte es die Kehle zu.

Bitte nicht schon wieder, was war denn jetzt los?
Das konnte es doch nicht geben, alles nagelneu und diesmal tropfte es nicht nur, gleich ganze Rinnsale von Wasser bahnten sich ihren Weg.
Das Test-Wasser kam also wieder raus und S. aus H. unterzog alles einer kritischen Prüfung.
Ohne Befund.
Vielleicht waren seine Kräfte einfach zu mickrig gewesen und die Verschraubung war nicht fest genug von ihm angezogen worden.

2. Versuch.
Identisches Ergebnis.

Verzweifelung!

HALT! STOP!

Hier lief irgend etwas massiv falsch.
Das konnte von den Göttern der Glas- und Plastik-Technik so nicht gewollt worden sein.
S. machte das, was er in solchen Situationen immer zu machen pflegte.
Erstmal hinsetzen.
Kaffee.
Zigarillo.
Dann behutsam analysieren, mit dem notwendigen Abstand, versteht sich.

Mit Blick auf das Trauerspiel fing S. an, im Geiste die leckende Stelle mittels imaginärer Kamera abzufilmen.
Ein Blick auf die Durchführung und ein

KAWUMMMMMMMMMM!

traf ihn direkt und mit voller Härte.
Der Schmerz der Erkenntnis war bohrend und nahezu unerträglich. Ein unsicherer Blick von ihm in Richtung von B., deren Mitleid in just diesem Moment noch vorhanden war, sich aber mit absoluter Sicherheit gleich in Hohn und Spott verwandeln würde, quasi im Moment der Offenbarung.
Die Gummidichtung, deren Sitz er wieder und wieder kontrolliert hatte, gehörte natürlich IN das Becken und nicht außen von unten gegen gekontert.

Der Pokal mit der Inschrift "Trottel of the year" lag schon schwer in seiner Hand und sollte jetzt eigentlich mit beiden Hände hoch in die Luft gehalten werden. Ja, seht alle her, hier ist er, der Vollpfosten der Nation, Deutschland sucht den Supertrollo, nein, sucht nicht weiter, wir haben ihn gefunden!

Erneute Montage, erneute Wässerung.
Halt, war das etwa . . .?
Nein, nein, reingelegt!
Alles dicht und trocken, wie gewünscht.

B. schien immer noch Mitleid zu empfinden, na ja, Hohn und Spott wären jawohl zuviel des Guten, ob dieser bodenlosen Dummheit. Nach einigem Hin und Her kam S. die Erkenntnis, dass just diese Dummheit schon das Heil der ersten Version von 576 gekostet hatte. Doch im Gegenzug war es eben auch eben diese gleiche Dummheit, die ihnen beiden ein neues Becken beschert hatte.

Dumm gelaufen, im wahrsten Sinne!

Der Rest war Murmeltiertag.
Wasser, Sand, Pflanzen, Wurzel und noch mehr Wasser.
Wie Beckenumzug? Na hö ma, lächerliche Nummer! Schon zig Mal gemacht. Dafür gibt es doch nur noch ein kurzes Abwinken mit der Hand, während die andere den künstlichen Riesendauergähner bedeckt. Also wirklich das ist doch nun echt ´ne Lappalie!

Emsiges Treiben erfüllte den Raum, der weitflächig mit Utensilien gepflastert war.
B. dirigierte im oberen Teil die "alten" Neuankömmlinge" und S. justierte derweil das Filterbecken. Stück für Stück kam man dem Stapellauf näher. Dann war es geschafft.

576 II. lebt!

12. Glück und Glas, wie leicht bricht das?

Wenn ich dem Spruch "Leben ist die Summe aller gemachten Erfahrungen" Glauben schenke, dann ist der gestrige Tag ein Stück Leben, das ich gerne von der Summe abziehen würde.

S. aus H., jetzt in N. wohnhaft, sah dem Tag schon mit gemischten Gefühlen entgegen.
Dabei lies sich die Woche eigentlich gut an.
Das 576er stand an seinem angestammten Platz und lies Großes erahnen, wirklich Großes.

Auch bei B. aus W., ebenfalls in N. wohnhaft, war die ansonsten eher spärlich vorkommende, in diesem Fall aber erstaunlich ausgeprägte Geduld nun nicht mehr vorhanden und es waren Taten von Nöten, um das Seelenheil zu wahren.

Während S. weiterhin um eine "tropfenfreie" Sanitärinstallation bemüht war, verhalf B. der örtlichen Konjunktur erneut zu einem kurzfristigem Peak und investierte die soeben durch Ihren Geburtstag erlangte honorige Barschaft in Unterwasserflora. Auch das WWW profitierte hiervon, sollten doch handverlesene Grünlinge in ungeahnter Pracht ihr Dasein fristen, die ansonsten eher selten in H2O-Vitrinen zu finden waren.
Arbeitsplätze erlangten zusätzliche Bestandsgarantien dank der Kaufwut und eine grüne Welle nie dagewesenen Ausmasses rollte in Form von Planzen-Post auf den Ort N. zu.

Die Dämme waren gebrochen und die Verantwortlichen waren nicht gewillt, der Wucht der Ungeduld länger zu trotzen.

Triebwerke an,
Nachbrenner ein
Bremsraketen? Verdammt, was machen die Bremsraketen?
Negativ Captain, kein Umkehrschub möglich!

Auf die Schnelle wurden 100 Kilo feinster schwarzer Sand eimerweise in die Kiste gewuchtet, nachdem ein zierlicher Wasserspiegel als Qualmdämpfer eingebracht war. Jetzt war B. am Zug.

Die krakenhafte Riesenwurzel wurde nach kurzem Zwiegespräch in Ihre Ecke gezwängt und durfte sich daraufhin einer eingehenden Behandlung erfreuen, da sie neue Beinkleider aus kostbaren Moosen spendiert bekam, die umständlich mit Garn fixiert wurden.
Das Arrangement war vollbracht und schon wurde der Beleuchtung Strom durch die Glieder gejagt.
Ein gleißender Lichtstrom durchfuhr zuerst das Becken und erhellte den Raum.
Ein wahrlich erhebender Moment, der für all die Mühen und Strapazen der vergangenen Monate entschädigen sollte. So S. aus H. jedenfalls . . .



B. aus W. hingegen erlebte den Moment etwas differenzierter.

"Es blendet!"

Gehört hatte er Ihren Einwand.
"Und?" gab er als Antwort zurück, während er immer noch dabei war, den Eindruck zu verarbeiten und seine Fantasie bereits die Overhead-Folie mit den Fischen über den Anblick legte.

"Das kann so nicht bleiben, da werde ich wahnsinnig!"

Da waren sie.
Die Bremsraketen!

"Ich habe gesagt, dass ich keine Bürobeleuchtung im Wohnzimmer haben will!"

Zugegeben, 4 T5-Röhren mit je 54 Watt in einer 120cm Hängeleuchte entsprechen nicht ganz der allgemein vorherrschenden Vorstellung einer "wohnlichen Atmosphäre".

Unumstößlich wurde die Meinung von B. allerdings, als auf der anderen Seite des geteilten Raumes auf dem Sitzmöbel Platz genommen wurde, um sich bewegten Bildern hinzugeben.

"Niemals!"

S. aus H. resümierte kurz.

Ein Becken mit den Maßen:
EINHUNDERTSECHZIG
SECHZIG
SECHZIG

Ein Koloss, ein Monument . . .

. . . der, wie bitte?,
völlig lautlos und um Gottes Willen NICHT BLENDEND den Wohnraum bereichern soll?
Merkwürdig, S. aus H. erinnerte das spontan irgendwie an eine Prostituierte in einer Nonnentracht.

Ein Konsens musste her, doch wie?
Ein Rahmen obenauf?
Gar ein Schrank bis unter die Decke?
Nein!
Eine Lösung aus Stoff wurde gefunden,
die den Blend-Effekt auf beiden Seiten des Beckens verzeihlich machen sollte und obendrein ein neuer Bürostuhl erworben, um B. sitzenderweise in die blendfreie Zone zu hieven.

Während das Lichtproblem gelöst schien, war es ein anderes nach wie vor nicht.
Die Plastikrohre unterhalb des 576er waren immer noch feucht.
S. hatte die Ursache hierfür erkannt und präsentierte B. zaghaft seine Erkenntnis:

"Muss alles wieder raus!
Wasser, Pflanzen, Sand, einfach alles!"

murmelte S., in Erwartung einer entsprechenden Reaktion.

Haben Sie schon einmal einem Kind sein Lieblings-Spielzeug weggenommen?
Oder einem Verdurstenden das einzige Glas Wasser von den Lippen gezerrt und es dabei verschüttet?
Derart ungläubig starrte B. aus W. S. aus H. an.
"Nein!"

"Doch, sonst wird´s nicht trocken."

S. hatte die Löcher in der Auflageplatte für die Zu- und Ablauf-Rohre zu eng gefertigt. Dadurch war es nicht möglich, die Durchführungen mittels den Gummidichtungen derart zu verschrauben, dass kein Wasser mehr seinen Weg bahnen konnte. Das Nass zog in die thermische Auflage und verursachte die Feuchtigkeit. Kurzum, die Matte musste weg und die Bohrungen einfach großzügiger. Und das machte eine Tragfähigkeit des Ungetüms von Nöten.
Unglücklicherweise wurde gleichzeitig der Keller einer Umbaumaßnahme unterzogen, so das S. seine Aufmerksamkeit teilen musste, während B. die Ihre den Ingredienzien des Beckens uneingeschränkt widmete. 100 Kilo nassen Sand aus einem Becken zu fördern sind wahrlich kein Ereignis, dem man öfter frönen möchte.
Die Stimmung war ergo . . . entzündlich!

Irgendwann war der Keller fertig, das Becken leer und die Beteiligten willens, es angehen zu lassen. Schnell mal anheben, Matte drunter weg, das Becken leicht gedreht und kurz die Stichsäge singen lassen und alles wird gut.

Der Älteste der Zöglinge war eingetroffen und stand parat. Die Situation war schwierig, da der Kasten mit der Stirn an der Wand stand und kein Dahinterkommen möglich war. S. wuchtete das 576er an einer Seite in die Höhe, während der Älteste die verbliebene Seite bemühte, erfolglos. B. griff beherzt mit zu, doch nun fehlten Hände zum Entfernen der Matte. Der Jüngste wurde zum Helfer berufen. Beim Aufbauen hatte sich die Matte bereits als hinderlich erwiesen, deshalb war sie kurzerhand mit Klebstoff fixiert worden, was ein Entfernen nun erschwerte. Der Älteste war just im Begriff mit einer Hand das Becken zu heben, während die andere die Matte löste, als das Unglück seinen Lauf nahm. Das Gleichgewicht ging verloren und das Becken krachte mit seinen Ecken auf das Gestell zurück. Ein hässliches Geräusch knirschenden Glases war zu vernehmen und S. stand da, immer noch das Becken hebend, aber fern und ab jeglicher Realität. Die Intensität des Geräusches führte ohne Umwege zur Erkenntnis:

"Das war´s!"

War es bis zu diesem Moment nur eine an Gewissheit grenzende Ahnung, so brachte die nähere Inspektion die traurige Wahrheit ans Licht. Das Glas war so dicht an der Silikon-Naht geborsten, dass ein weiteres Platzen und somit eine Sintflut im Wohnzimmer zu wahrscheinlich wurde.
Der Traum war geborsten.



Leere machte sich in S. aus H. breit, während B. Ihren Gefühlen freien Lauf gab. Dem Ältesten war im ersten Moment nicht bewusst, was dies alles bedeutete. S. erteilte Ihm sofort moralische Entlastung, war doch bereits der ohnehin blasse Teint des Ältesten nunmehr auf dem Weg zur absoluten Farblosigkeit und Schuldgefühle waren deplaziert.

All die Mühen, die Zeit und das Geld verloren an einer kaputten Ecke.
Wie bizarr das Leben doch sein konnte.

S. fühlte ein Loch in seinem Torso, wie von einer Kanonenkugel durchbohrt.
Fassungslos zuckten seine Gedanken umher, was sollte nun geschehen?

Aufgeben?

Niemals!

B. trocknete Ihre Augenfeuchte und ging ebenfalls zum Angriff über. Hausratversicherung, Glas inklusive.

Aber Pflanzen und Sand ??? Wohin damit, dat Zeuch wa doch teua.

Der Ausspruch "Man kann eben doch nie genug Becken haben," war passend und so machte sich die vermeintliche Fehlinvestition in das olle 240er Becken nun doch bezahlt. Das Ausweichquartier schnell hingestellt, Sand, Wasser, Pflanzen rein und fertig.



Zuversicht breitete sich langsam aus,
gefolgt von kriegerischem Aufbäumen und schon war klar:
So nicht!
!Nicht sO


So lassen sich B. aus W. und S. aus H., beide wohnhaft in N. nicht unterkriegen.

So nicht!

11. Feuchtes Plastik

Alltag.
Nicht alle Tage erfahren dieses Prädikat.
Da gibt es durchaus Ausnahmen.
Kleine, feine Begebenheiten,
die so unmerklich wieder verschwinden können,
wenn man sie nicht festhält. Dann wollen wir mal festhalten . . .

S. aus H., jetzt in N. lebend, besah sich sein Werk mit innerer Zufriedenheit.
Zugegeben, es war nur ein kleiner Schritt, na ja, vielleicht sogar nur ein Zucken des kleinen Zehes,
aber der Anfang war vollbracht.

576 stand zum ersten Mal geeinigt auf der Terrasse.

Waren anfangs noch reichlich helfende Hände von Nöten, um den gläsernen Torso zu bewegen, so hatten er und der Älteste der beiden Zöglinge es nunmehr "im Griff", oder auch "begriffen" (man sinniere über den Unterschied!), den Schneewittchensarg zu manövrieren, ohne das S. hinterher das Bedürfnis verspürte, selbst den Defibrillator anzulegen und sich gleichzeitig alle kurz zuvor gewonnenen Eigenblutkonserven zu injizieren.

Nun, da alle Teile vorhanden schienen, sollte der Komplettierung nichts mehr im Wege stehen.

2 Becken
2 Gestelle (wieso eigentlich 2 ? Ach ja, da war ja was . . .)
Holz
Plastik
diverse Kleb- und Dichtstoffe
Filtermaterialien
4 Pumpen (kann man nie genug haben)

kurzum, ein Sammelsurium aus zig verschieden Teilen, die es nun galt ihrer Funktion zuzuführen.

"Funktion zuzuführen" hörte es S. noch in seinem Kopf.

Sicher, kein echtes Problem, keine wirkliche Aufgabe,
eher so eine Nichtigkeit, kurz mal so zwischen Suppe und Kartoffeln gemacht,
dafür braucht man ja nicht mal Puls,
ganz locker und geschmeidig, völlig klar . . .

Verdammt nochmal, nix is klar !!!

Irgendwie dann doch einfacher gesagt als getan.
Aber vor dem geistigen Auge war doch alles so einfach, reibungslos und unkompliziert, und jetzt . . .

Man wächst an seinen Aufgaben!

"Bescheuerter Spruch", dachte S. so bei sich und seit wann haben hier eigentlich Lebensweisheiten aus Apothekenkalendern etwas zu suchen?
Er nahm sich vor das später zu streichen.

S. war während der Zeit des Wartens (siehe diverse vorgehende Abschnitte) ja nicht untätig gewesen. Nicht nur der Freizeit-Faktor hatte einen Aspekt mehr gewonnen, auch die regionale und überregionale Konjunktur hatte durch S. deutlich spürbare Impulse erfahren. Kostspielige Impulse!
S. aus H. war der Überzeugung, wer Golf für ein teures Hobby hielt, hatte nicht den Hauch eines Schimmers, was ein Aquarium dieser Ordnung verschlingen konnte! Wie immer war es die Summe der Klein- und Nichtigkeiten, der vielen "eben mal so im Vorbeigehen" und der zahlreichen "ach ja, das kann man sicher auch noch gebrauchen", die in diesen Schlund mit der Aufschrift "Sag zum Abschied leise Servus!" wie die Lemminge über die Klippe gewandert waren.

"Vergeben und vergessen!" dachte S. so bei sich "werd ich halt ´n Wirtschaftswunder!".
Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, begann er sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren.

ZUSAMMENBAUEN
********+
FERTIGMACHEN !


S. ging nun direkt über zu Phase 2 des Plans, der Phase 1 "militärische Strukturierung der Vorgehensweise" schlicht vernachlässigbar zeigte. Zudem gab es ja keine Montageanleitung á la IchKEhjAschon, mit so etwas kannte S. sich nämlich exzellent aus, aber das hier war etwas völlig anderes. Hier war Erfindungsreichtum, Intuition, handwerkliche Sensibilität und massenweise Erfahrung gefragt, also McGyver in "Pimp my tank", alles Eigenschaften, von denen S. mit Fug und Recht behaupten konnte, dass er sie höchstens ansatzweise, nein, offen gestanden eher gar nicht besaß.

Irgendwann ist immer das erste Mal.

"Oh Gott, noch so ein geistiger Lückenfüller!"
S. stieß wiederholt die Innenfläche seiner Hand gegen seine Schläfe, voller Erwartung auf eine augenblickliche Rekalibrierung seiner grauen Zellen. Mechanisch funktionierte seine Steuereinheit einwandfrei, aber biochemisch war der Klumpen wohl schwer derangiert. Aber er musste den Kopf frei haben, wollte er die erste Ausbaustufe hinter sich bringen, ohne das diese in einem Desaster endete.
Die Hand stieß immer noch auf die selbe Stelle am Kopf und die Schläfe zeigte bereits deutlich Spuren der fortwährenden Behandlung in Form eines farblich höchst interessanten Hämatoms, aber der erhoffte Effekt blieb aus, bis . . .

-> KLACK
ssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssttt Paaaaaaah
Reassembling brain complete . . .
rebooting system . . .
please stand by . . .
process finished, ready to proceed . . .


"Na endlich."
Absolute Klarheit durchzog S. und er schritt zur Tat.
(piano fortissimo bitte)
Holzplatte auf das Gestell auflegen,
Holzplatte fixieren,
thermische Isolierung aufbringen,
Becken aufsetzen,
Bohrungen freischneiden,
Bohrungen auf Holzplatte anzeichnen,
Becken abheben,
zwischenlagern,
Löcher sägen,
Becken wieder auf Unterbau zurücksetzen,
Verrohrung lose aber funktionstüchtig montieren,
Filterbecken ausrichten,
Wasser marsch.
(und wieder adagio)

S. sah sich im Abschnitt "Verrohrung lose aber funktionstüchtig montieren" etwas "ratlos", Tendenz "verloren".
Klar, er hatte bei der einen oder anderen Gelegenheit den Klempnern seines Vertrauens schon handlangerisch assistieren dürfen und dabei seine Studien über die Kunst der Rohre erweitert. Nun aber kam sein Gesellenstück und das im ersten Lehrjahr:

PVC-U und Tangit,

das klang wie zweimal Curry-Mayo und die Nr. 13 süß-sauer,
waren aber Plastikrohre und Spezialkleber.
Konnte doch eigentlich nicht so schwer sein . . .
Eigentlich nicht, aber ahnungslose Hilfskräfte die rd. 650 Litern Wasser trocken zirkulieren lassen wollen, ohne sich später eine DiNozzo-Dauer-Schelle von der Gefährtin einzufangen, sollten eine Unbedenklichkeitsbescheinigung vom Amtsarzt vorweisen können, eine Kampfschwimmerausbildung erfolgreich absolviert haben und zumindest im Selbststudium mit den Grundzügen der Physik vertraut sein.

"Wie?" dachte S. so bei sich, "Eloquenz, Charme und so´n kleiner Inbusschlüssel waren hier nicht ausreichend?"
B. aus W., natürlich ebenfalls in N. wohnhaft, sah ihn fragend an.
Da hatte er wohl etwas zu laut gedacht, denn der Blick von B. war eindeutig. Das sah nach "Heute noch, oder muss ich warten bis Nord- und Süd-Korea wieder vereint sind?" aus.
Einer eventuellen Konfrontation ausweichend ging er ans Werk. Der Fortschritt war nun nicht mehr aufzuhalten. 40er Durchführung, 90°-Bogen, Rohr und noch ein 90°-Bogen, fertig war der Ablauf aus dem Überlaufschacht, unterwärts in das Filterbecken. Hier bahnt sich das Wasser seinen Weg durch die Abteilungen, zwängt sich durch Filtermatten, vorbei an Keramikröhrchen, wieder Filtermatten und schließlich geklärt und gesäubert ab in die Pumpenabteilung. Von hier über die Pumpe durch den Schlauch direkt in den 20er Bogen und zurück ins Becken. Es war vollbracht.

Der Gartenschlauch wurde scharf gemacht, die Multi-Funktionsbrause in Anschlag gebracht, auf Dauerfeuer (quasi volle Disruptor-Stufe!) eingestellt und auf das 576er gerichtet. Endlich, eine Unendlichkeit später sollte das Ungetüm wieder mit Wasser in Berührung kommen und endlich Leben in den Kasten einziehen.
Der Pegel stieg stetig und unaufhörlich und erreichte die Kante des Überlaufschachtes. Während der Wasserstand im Becken seinen Status beibehielt, stieg die Linie im Überlaufschacht ebenfalls weiter in die Höhe. S. beobachtete das Szenario mit Spannung. Das Wasser lief geräuschvoll über das Rohr in das Filterbecken.
"Das ist aber ganz schön laut!" erschallte die Stimme von B. aus W. neben ihm. Die Klangfarbe trug im Abgang die untrügerische Aufforderung "Bring das in Ordnung, sonst kommt das Ding nicht ins Wohnzimmer und Du lange nicht ins . . . !"
Okay, das war unmissverständlich.

Das der Zustand nicht haltbar war, benötigte keinerlei Ermahnung, S. war schließlich nicht taub. "Ja, ja, das hör ich selber!" schnippte er zurück. Eiligst platzierte S. eine zusätzliche Matte unter dem Auslauf, um so mit einem sachten Verschluss das Geräusch zu dämmen. Da es sich aber nur um einen Probelauf handelte und die Teile an den neuralgischen Punkten noch nicht verklebt waren, tropfte es bald an beiden Bohrungen. "Verzeihlich!" entschied S. aus H. und betrachtete stolz erfüllt sein Werk. Das war sein Weihnachten mitten im Juli!
"Das soll ja wohl hoffentlich nicht so bleiben, oder?" unterbrach B. erneut den Glücksmoment.
Das grenzte jetzt nun aber wirklich an Insubordination. Da soll ein 3/4 Tonne Aquarium stehen und das Ganze soll, aus weiblicher Sichtweise heraus verständlich, aus männlicher selbstredend nicht, bitte schön auf Anhieb reibungs- und geräuschlos funktionieren ?

"Wo kommen wir denn da hin?
Ja sind wir hier denn bei Wünsch Dir was?"

Genie braucht Zeit und Perfektion Geduld.

Sicher, aber das Genie hatte leider nicht bedacht, dass im Moment der Stromabschaltung die Pumpe ihren Dienst einstellt und der Inhalt eines 576 Liter-Beckens durch einen 20mm Zulauf in ein 160 Liter-Filterbecken zurückläuft. Zwar nur langsam, aber immerhin, es läuft. Riskant also.
B. hatte diese Eventualität angeführt.
S. nicht.
Dumm gelaufen.
Keine Perfektion, ab in die Ecke, schämen . . .

Dunkel keimte die Erinnerung in S., dass sich in solchen Situationen ein R ü c k s c h l a g v e n t i l als sehr hilfreich erwiesen hatte.
Kurzerhand eins im Netz bestellt und sicherheitshalber noch eins beim Händler erstanden.

DAS war jetzt aber wirklich SAAAAAFE!

Hoffentlich.

10. Klein, aber fein und ungerecht

Moment mal.

Eigentlich war diese kleine Episodensammlung ja zu keinem anderen Zweck gedacht, als einfach zu erinnern.
In erster Linie natürlich mich selbst, denn wenn man seit über 20 Jahren seinen 20. Geburtstag feiert, dann setzen biologische Prozesse ein, die das Erinnern spürbar erschweren, sie zum Teil sogar ganz verhindern. Das Phänomen des Schrumpf-Hirns zum Beispiel, auch als "Alters-Demenz" bekannt, lässt abgespeicherte Geschehnisse nicht wieder vor dem geistigen Auge erscheinen, ohne das der Patient sich anstrengt.
Also strenge ich mich an . . .


Die Zeit verrann.
Nicht stunden- oder tageweise.
Nein, nein, sie schritt unaufhaltsam vorwärts.
Die bislang geschilderten Ereignisse mögen bei jedem einen individuellen Zeitbogen von eventuell Tagen, oder auch Wochen schlagen, tatsächlich aber vergingen in Wirklichkeit Monate.

S. aus H., jetzt in N. wohnhaft, rekapitulierte das Vergangene und entsann sich, dass nicht nur das 576er seine Aufmerksamkeit verschlang. Auch die anderen "Zöglinge" wollten beachtet werden. Das urwaldlich anmutende 64er, das halb von Dickicht durchzogene 54er. Diese beiden Komplett-Pfützen hatten in kürzester Zeit ein umfangreiche Entwicklung hinter sich gebracht. Gut, die Geschichte gilt schon als erzählt, aber trotzdem würde sie nie ganz enden. Einen Meilenstein stellte allerdings die Fern-Diagnose dar. Wir kommen hierauf noch zurück. . .

Das 64er wurde von B. aus W., natürlich ebenfalls in N. lebend, ganz weiblicher Manier folgend liebevoll gestaltet. Im Zuge des aquaristischen Werdegangs war dieses Becken der Gradmesser. Der Besatz war zwar zeitweise recht experimentell, aber immer darauf bedacht die Art Fische zu berücksichtigen, die zum einen nicht als "Hausmeister" fungieren, also eher dem Harmonie-Prinzip entsprachen und zudem nach außen erkennbar ein Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelten. Die Rede war dann vom "ruhigen Schwarmfisch". Ein mittlerweile geflügeltes Wort im Heim der Beteiligten. Denn nichts ist schöner, als ein Schwarm Fische, der ruhig seine Bahnen zieht und dabei dem menschlichen Auge Wohlgefallen bietet.

Erste Wahl dabei, so könnte der geneigte Betrachter meinen, wären da wieder die panierten goldbraunen Stäbchen aus der Tiefkühlabteilung der ansässigen Verbraucher-Zentrale. Sicherlich, schlicht und pflegeleicht in der Handhabung, aber leider mit geringem Unterhaltungswert. Hier lag der Anspruch dann doch schon deutlich höher. Und bewegen sollten sie sich bitte schön, ansonsten wäre der Schwarm-Charakter ja auch schwerlich auszumachen gewesen.

So war die Auswahl nicht wirklich immens und keineswegs erschlagend und somit kom-pli-ziert.
Vereinzelte Kandidaten boten sich an:

Fisch ja, ruhig ja, Schwarm nicht wirklich = gestrichen.

Fisch ja, Schwarm ganz eindeutig, ruhig ja, aber erst wenn tot = Negativ.

Fisch ja, überaus ruhig und friedlich, durchweg ausgeprägtes Schwarmverhalten = Na bitte, wer sagt´s denn!

Die Würfel waren gefallen, der Delinquent hatte einen Namen, aber wo zum Teufel war der käuflich in ausreichender Anzahl zu erstehen?

Würde das FBI jemals erwägen in N. eine Außenstelle zu etablieren (warum auch immer), B. wäre die Chef-Ermittlerin, garantiert. Im Umkreis von etlichen Tagesritten wurde ausgespäht, sondiert, untersucht und ergründet. Eigentlich auf der Suche nach einer Rarität (lieblos auch "Beifang" tituliert) stieß B. auf den Fisch, der von Größe, Form, Farbe und Verhalten genau dem Täter-Profil entsprach, nur leider aufgrund seines jungfräulichen Daseins am Fisch-Himmel einen unverschämten Preis genoss. Wie der Zufall es wollte, waren neben dem gesuchten Beifang auch einige Exemplare dieses Wundertieres bei einem 60 Kilometer entfernten, recht populären Händler zu bestaunen. Kurz und gut, das Kfz gestürmt und auf den Weg gemacht. S. erinnerte sich lebhaft, ein unvergessliches Erlebnis. Neeeiiinnn, nicht wegen der Fische, das hinterher klaffende Loch im Portemonnaie war´s Der Beifang war bereits gesichert und die Sensation entpuppte sich leider als entschieden zu schüchtern und sündhaft überteuert. So allerdings beendeten B. aus W. und S. aus H. natürlich keinen Händlerbesuch bei 120 Kilometern Reisestrecke. Ne, ne, da waren diese kleine knallroten, überaus seltenen Wildfänge, wie das Fachpersonal jovial versicherte. Na ja, klein und rot, als Truppe, dann auch noch eher selten . . .
Von allen guten Geistern verlassen wurde die Rechnung aufgemacht. Upps, da war wohl das falsche Preisschild dran, wie bitte? Was für eine Zahl wurde da gerade am Tresen gemurmelt? Plötzlich verstand S. aus H. auch, warum die den Laden so früh an einem Samstag schon zumachen wollten. Bei dem Preis war der Tagesumsatz schon gemacht und alle Angestellten inklusive Inhaber konnten weitere Verkaufstätigkeiten einstellen.

Die Rückfahrt fiel aufgrund der kostbaren Fracht entsprechend bedächtig aus. "Das sind zähe kleine Kerle!" schallte es noch im Ohr von S., als es an das Einbürgern in die Heimat ging.
Zäh bestimmt, klein sowieso und erst recht Kerle!

Aber nix Schwarm!

Eine kurze gemeinsame Erkundungsschleife durch die Gemeinde und dann wurden die Reviere abgesteckt. Und waren die Claims erst vergeben, standen die Biester regungslos in ihren Ecken und warteten nur darauf, vermeintlicher Konkurrenz die gefletschten Kiemen zu zeigen. Na ja, kann ja auch einen gewissen Unterhaltungswert haben, dachten sich B. und S. Der hielt allerdings nur wenige Tage an, dann war aus dem eh nicht vorhandenen Schwarmverhalten bereits Krieg ohne Frieden geworden. Was als seelische Erbauung mit innerer Beleuchtung gedacht war, entpuppte sich als das, was später als das "54er-Massaker" in die Analen eingehen sollte.
Das Unterfangen wäre nicht so desaströs erschienen, hätten die Protagonisten Ihren obersten Maximen vertraut:

Du bloß nix Fisch kaufen, den Du nicht kennen tun!

Aber wozu wären Leitsätze da, wenn nicht dazu, sie im Augenblick der Gier sofort zusammen mit all der menschlichen Ratio zu vergessen. Eben!

Konsequenz?

Raus, alle raus, ganz einfach, Return to Sender, back where you belong. Nochmal 120 Kilometer in den Fisch-Bazar waren indiskutabel, allein schon um das Gesicht zu wahren. Musste also ein anderer Händler her, der das Problem abnahm und gleichzeitig den Schmerz zu lindern vermochte. Er wurde gefunden und er vermochte zu lindern, wenn auch nicht im erwarteten Ausmaß.
Doch erstmal mussten die Randalierer ja aus dem Becken. Hier zeigte sich der wahre Unterschied zwischen üppig bepflanzten Gesellschafts- und etwaigen asketischen Afrikabecken.
Komplette Evakuierung, Totalräumung bis auf´s letzte Element, dann konzertante Treibjagd und kescherbewährte Verhaftung. Schweißgebadet ging es 2 Stunden später endlich Richtung Erlösung.
Und exakt ein mickriges Trostpflaster für die Mitbringsel später (die Dinger waren dann doch nicht SO selten) waren B. und S. wieder auf Rücksturz zur Heimat. Diesmal allerdings mit Fischen der richtigen Wahl.


Wozu das ganze Theater wird sich der geneigte Leser nun fragen? Ganz einfach: "Fern-Diagnose!"

Das nunmehr als komplett und wunderschön erachtete Becken wurde ins Rennen um Bewunderung geschickt.
Ausgiebige Foto-Shootings, Nah- und Detailaufnahmen, alles rund um diesen kleinen Glaskasten wurde penibelst aufgelistet und der unsichtbaren Jury präsentiert.

WehWehWeh.ZeigdochmalDeinBecken.DeEeh

oder so ähnlich wurde Skala für all die Mühen und Kosten. Gut gemeinte "Weiter so", etliche "schicke Kiste" und unzählige "Gut, aber . . ." danach folgten, bis die Jury sich erbarmte und ein Urteil sprach:

Braver Durchschnitt!


Ehrlich gestanden war das nicht exakt das, was erwartet wurde. Da gab es doch noch Adjektive wie "einzigartig", "ausnahmslos" oder "unvergleichlich" die eigentlich hätten Verwendung finden sollen, aber aber gänzlich ausblieben. Na, Eloquenz konnten die sich nicht gerade auf die Fahnen schreiben. Was soll´s!

Schmollen zwecklos!

Wie ein hingeworfener Fehde-Handschuh las sich die Beurteilung und B.aus W. nahm das Duell an, konterte bravourös, setzte zum Gegenstoß an, Parade, Finte, Doublette, doch die erhofften höheren Weihen blieben aus, bzw. kamen eben nicht auf Anhieb.

2 weitere Becken folgten dem Weg auf´s elektronische Podium und immer war das Ergebnis unbefriedigend bis hin zur Unfairness, so urteilten jedenfalls B. und S. in offener Abstimmung für sich.

S. aus H. nahm dies so zur Kenntnis und nippte genüsslich am Schwarzriesling.
In vino veritas bekam so eine völlig neue Bedeutung. Sollten Sie doch, aber die Rache würde die Ihre sein, spätestens dann, wenn das 576er zur vollen Pracht erblüht sein würde. Na wartet!

DAS würde keiner bewerten, der es nicht leibhaftig zu Gesicht bekam (Anwesende ausgenommen),

versprochen.



Mitwirkende in alphabetischer Reihenfolge:

Augenfleckbärbling
B. aus W.
Händler 1
Händler 2
Roter Signalsalmler
S. aus H.


Wichtige Nebenrollen

54er
576er
64er
Kfz

9. Ritter, Panzer und andere Fische

Müde Finger auf einer schlappen Tastatur.
Ein träger Geist gebärt umständlich und zäh Wort an Wort und hofft, dass sich daraus Sinn ergibt.
Vergebens. Das mit dem Sinn, meine ich . . .

S. aus H., jetzt in N. wohnhaft, sah sich unverhohlen mit etwas konfrontiert, dass so gar nicht in seinen "Unbedingt-Haben-Wollen-Horizont" zu passen schien:

Fische!

Zu Beginn dieser merkwürdigen Liaison empfand S. jenen Fisch nämlich als etwas, das seinem Teller deutlich näher war, als das es seiner Zuneigung je hätte sein können. Paniert, gedünstet, gerne gegrillt, mariniert u.s.w. Es gab auch dank einer gewissen Firma keine echten Berührungsängste, denn mit einer ordentlichen goldgelben Panade hatte Fisch seit seiner Kindheit immer die selbe Formensprache: ECKIG!

Das änderte sich mit Einführung eines seltsamen Ritus namens "Weihnachtskarpfen", der aus dem bekannten See inmitten der Stadt zur besinnlichen Zeit vielfach den Weg in heimische Kochtöpfe fand. Hier endete die kindliche Freude und machte einer lang andauernden und von Gräten begleiteten Aversion Platz.
S. lernte den Fisch dann später immer mal wieder neu kennen, besonders bei diversen Urlaubs-Aktivitäten kreuzte das Tier ein ums andere Mal seinen Weg. Der Fisch war kalt (wenn frisch) und S. war es in seiner Gegenwart auch (kalt, aber schon nicht mehr frisch!). Keine Emotion, keine noch so kleine gefühlsmäßige Regung war zu vermelden.

Auch dann nicht, als das "Geburtstagsgeschenk" des Jüngsten in Form des 160er seiner Bestimmung übergeben wurde, wollte sich bei S. aus H. so etwas wie ein Hauch von "Ach wie reizend!" einstellen.
Sicher, sie schmeichelten dem Auge des Betrachters dank ihrer exotischen und farbenprächtigen Erscheinung und das Becken tat dank seiner mystischen Atmosphäre sein übriges dazu, aber HALLO?????
S. und Fische?

Gott bewahre!

Dann wohl eher gesalzener Honig, oder Herbert Wehner und Franz-Josef Strauß, aber Fische und S.?

Niemals!

Wie wohl ursprünglich für die gesamte Aquaristik verantwortlich, überwog auch bei S. eine Mischung aus Neugier, das "hingezogen fühlen" zu Wasser und das "Bastel-Wastel-Element".

Von Gefühlen keine Spur.

Genau DAS sollte sich ändern . . .

Es war das 1. mutierte Quarantäne-Becken.
S. erinnerte sich lebhaft.
B. aus W. -ebenfalls in N. wohnhaft- und er waren an einem Samstag auf Shoppingtour. Ein kleiner AQ-Laden war das Ziel der Begierde für B.´s Herzenswunsch: Parotocinclen "Jumbo" bzw."Spilosoma".
S. stand der Angelegenheit noch irgendwie unbeteiligt gegenüber , bis . . . ja,

. . . bis SIE auftauchten:

CORYDORAS ADOLFOI!

Frech, politisch unkorrekt, ständig wuselnd und mit schwarzer Augenbinde á la Panzerknacker.

Her damit.

Einfach so.

Willkürlich.

Plötzlich.

Eigentlich ungewollt.

Aber der orangefarbene Streifen, die Augenklappe,
SO sahen Partisanen der Liebe aus.
Ganz sein Fall!

Das passierte just zu einer Zeit, als das Wissen noch von Ahnungen und Vermutungen durchwoben war. Viel gelesen, wenig praktiziert, egal, "Eintüten bitte!".

Die Panzerwelse erwiesen sich als Quell der Freud . . .

. . . zumindest für all diejenigen, denen ein Nachtsichtgerät mit Restlichtverstärker zu Verfügung stand.
Schade, war ja nun mal gerad´nicht parat!
Machte nix, waren ja noch andere Bewohner da, aber die rechtsextremen Holländer waren ganz klar Seine!

Irgendwie erfrischend, die Staubsauger-Truppe, wenn denn mal zu sehen. Wie es das Schicksal will, fand sich ein Exemplar darunter, dass keine Barteln mehr hatte und fortan einhellig "Der Bartellose" genannt wurde. Kein Dieter, Horst oder Sören, nein, schlicht "Bartelloser".

Unfähig sich seine Nahrung aufgrund fehlender Extremitäten zu "ergründeln", schaffte es dieser, auch körperlich sehr zurück gebliebene, sich bei der Fütterung seiner ganzen Willensstärke zu bedienen. Von der Natur benachteiligt, aber von einer immensen Unbekümmertheit beseelt, wurde er schnell DER Liebling im Becken.

"Wie geht´s ihm, was macht er, WO IST ER?"

Er war immer da, wo es zu fressen gab.
Und das in einer Manier, die Ihres Gleichen suchte. Der wohl platzierte TK-Block roter MüLa´s sank zu Boden, explodierte förmlich in seine Bestandteile und wer war mittendrin?

Richtig!

Sich suhlend und badend in Haute Cuisine, vor sich hin mümmelnd und pure Lebensfreude zur Schau stellend. Eine Wonne.

Das hielt so einige Tage an.

Die Heiterkeit war mit Ihm, aber am Firmament zogen dunkle Wolken auf. Der Bartellose magerte trotz großem Appetit zusehends ab, verfiel in Apathie und stellte B. und S. vor eine schier unlösbare Aufgabe.
S. aus H. hatte schon 2 Hunde innerhalb kürzester Zeit erlösen lassen müssen und war sich der Verantwortung bewusst. Tiere sprechen nicht, klagen nicht und können Ihr Leid nicht kundtun.

An einem Morgen fanden sie Ihn im Todeskampf und der Zeitpunkt war gekommen.

Ausgerechnet Er.

Die Salzwasser-Methode schien am besten.
Gesagt, S. tat es, aber danach war lange alles anders.

Es erinnerte ihn entfernt an die Lebenslust von Behinderten, die, sich manchmal schwer tuend beim Artikulieren, nur anhand Ihres Habitus etwas vermittelten, das vielen "Normalen" ein Leben lang verschlossen bleiben würde. Leider.

Aber ER war weg.

Und es gab keinen Zweiten.
Auch von den Verbliebenen vermochte keiner dieses Mome
Post veröffentlichennt jemals wieder zu beschwören.

S. aus H. war nicht böse drum.

8. Gewichtsprobleme

20:44

S. aus H., jetzt in N. lebend, staunte.
Es war nicht das erste Mal, das er sich selbst in Verblüffung wiederfand.
Sein Staunen galt allerdings der Tatsache, das dieser Zustand reproduzierbar schien.
Kurz, er staunte immer wieder über sich und das aus ein und dem selben Grund.

Wie war er verdammt nochmal diesem Riesending einfach so mir nichts, dir nichts verfallen?
Es war doch lediglich ein großer Kasten aus Glas, in den man gehörige Massen an Wasser füllte, um hinterher Fische und Pflanzen darin zu betrachten. Unter humanistisch erzogenen Nordeuropäern ein eher unspektakulärer Vorgang.

S. stütze sein Kinn auf seiner Handinnenfläche ab und dachte angestrengt darüber nach. Den Grund hierfür in seinem Alter zu suchen empfand er als abwegig. Zudem benutzte er genau das Alibi schon für andere Zwecke, also hieße eine Überstrapazierung desselbigen, dieses der Lächerlichkeit preis zu geben.

Nach einigen Denkansätzen gelangte er zu der Überzeugung,
dass es sich um ein Komplott mehrerer Faktoren handeln musste.

Sicher, S. aus H. war hierüber keinem Rechenschaft schuldig und Erklärungsnöte waren nicht zu erwarten. Aber zog man die Tatsache ins Kalkül, das S. für sein Empfinden eher als "wenig begeisterungsfähig", überspitzt gesehen sogar "norddeutsch unterkühlt" und "leidenschaftslos" galt (zumindest von seiner Warte aus betrachtet), so war der Begriff "Hobby", oder zu deutsch "Freizeitbeschäftigung" hier doch eindeutig deplatziert.
Dieser Mangel an Termini war einfach erschreckend!
"Interessiert" war nun maßlos untertrieben, das bewies allein der Kontostand. Er selbst sah sich bei dem ganzen Thema emotional irgendwo zwischen Che Guevara und Jean Pütz, falls das überhaupt möglich war.

Der Schneewittchensarg hatte im Gegensatz zu den anderen Aquarien nicht nur eine sichtbar größere Dimension, sondern zusätzlich galt es ja eine multifunktionale Einheit aus Haupt- und Filterbecken zu etablieren. Das hatte für S. so einen Geruch nach Michelangelo und dem Perpetuum Mobile, schmeckte ein wenig wie Star Trek und genoss im Abgang einen Hauch von Terra X. Einfach absolut FASZINIEREND!

Da galt es Filterstufen und PVC-Durchführungen zu kombinieren, die regelbare Pumpenleistung war gleichzeitig so interessant wie die zweckmäßige Innendekoration (unter anderem ein notwendiges Höhlensystem), die Beleuchtungsfrage geriet abzugleiten in philosophische Betrachtungsweisen und zu allem Überfluss waren da ja noch so große Unbekannte wie etwa Wasserwechsel und die notwendige Futter-Schnecken-Zucht (Details folgen später). Und das alles, während B. aus W, ebenfalls in N. lebend, ein ums andere Mal die Besatzliste annullierte und ständig neue Kandidaten für Ihr Aqua-Big-Brother an den Start brachte.

S. war immer auf der Hut vor neuen Überraschungen. Zu viele Eskapaden gingen mittlerweile auf das Konto des 576er. Immer wieder tauchten neue Unwägbarkeiten auf, immer wieder rückte die geplante Inbetriebnahme in schier unerreichbar Ferne. Es mutete an, wie der Bau des Hoover-Staudamms inmitten einer Großstadt, faktisch gesehen also fast unmöglich.

Und doch ließen Zuversicht und die schier unendliche Geduld immer einen Krümel Hoffnung übrig. Irgendwie musste dieser Riesen-Inkubator doch zum Funktionieren bewegt werden.

S. hob den Kopf, nahm die Brille ab und massierte mittels ringförmig angeordnetem Daumen und Zeigefinger seine Nasenwurzel, während die andere Hand die Sehhilfe festhielt. Es war zum Haare raufen (zumindest der wenig verbliebenen), dauernd kam etwas dazwischen und 576 schien wie festgenagelt auf der Stelle zu stehen, Kryostasis!

Moment mal !

viele Liter Wasser ?

schluck

2 Becken ?

schluck

das Gestell ?

schluck

die Verkleidung und das ganze andere Zeug ?

schluck

WIE SCHWER WIRD DAS DING EIGENTLICH ???

War die Statik des Bodens dafür überhaupt ausreichend? Oder lief das Projekt Gefahr, seine Attraktivität nur im Keller und damit im Verborgenen zu offenbaren, währenddessen den sündhaft teuren, hölzernen Fußboden im Wohnzimmer ein Loch von der Größe einer Pershing 2-Abschussvorrichtung zierte?

Der Schreck fuhr ihm in die Glieder.
Verdammt, daran hatte er in den Anfängen zwar mal gedacht, aber dann hatte er diesen Parameter völlig außer Acht gelassen. Überschlägig summierte er so um die 750 Kilo, eine zierliche 3/4 Tonne Gewicht auf unter einem Quadratmeter, eventuell auch mehr!

Ihm war, als würde der gesamte Sauerstoff dem Raum schlagartig Adieu sagen.

Flugs wurde B. aus W. mit dieser gesamtheitlichen Vollbremsung bekannt gemacht.

Panik brach aus.

Was folgte, war ein "Was wenn . . ." und das obligatorische ". . . ich hab doch gleich gesagt" als Verteidigung zu diesem gesamtschuldnerischen Anklagepunkt. Damit war Sie natürlich fein raus.

S. erinnerte sich an das schwarze T-Shirt, das B. ihm geschenkt hatte. Auf der Brust stand in simplen Letter das Motto:

ICH HAB IMMER SCHULD

Die Anlässe dieses Textil zu tragen waren, seriös betrachtet, jeden Tag gegeben, wäre da nicht der winzige Umstand, dass die Aufschrift bei zufälligem Kundenkontakt im Büro zu etwaigen Irritationen und unangenehm intimen Fragen zur Haftpflichtversicherung führen könnte. Heute allerdings war ein guter Tag . . .


. . . für das T-Shirt!


Nicht so für S. aus H.!

Wer oder was konnte jetzt Abhilfe und/oder Absolution versprechen?
Der Fußboden war mit einer Fußbodenheizung versehen, über der der Estrich lag.
Wenn der Estrich Gefahr lief zu brechen und dadurch quasi die Heizspiralen beschädigen würde, nicht auszumalen!.
Noah, spann die Arche an und nimm alles mit, was Du kriegen kannst!

Die ersten flugs eingeholten Auskünfte waren niederschmetternd:

"Geht gar nicht nicht, nur bis 200 Kilo pro Quadratmeter Gewährleistung!"
Diese Aussage war schlicht unerwünscht und wurde geflissentlich ignoriert.

"Fußboden aufstemmen, Estrich raus und Beton an die Stelle!"
Schon besser, aber muss das so aufwendig und baulich irreversibel sein?
Der Hoover-Staudamm war plötzlich wieder da.

"Alles Blödsinn, ich hab ´n 2000er und ´n 576er in einem Raum stehen, ist absolut kein Problem!"
DAS war sein Messias, dem musste man einfach Glauben schenken.
Endlich jemand, der wusste, wovon er sprach.

Aber was, wenn das Scharlatanerie war?

S. malte sich im Geiste bereits aus, wie der Schneewittchensarg als großzügige Spende die örtliche Bildungseinheit, sprich Schule schmückte und zum Dank die Konterfei von B. aus W. und ihm, S. aus H. daneben an der Wand prangten. Eine grausame Vorstellung.
Und mit nur diesem einen Becken eine naturkundliche Abteilung im Rathaus einer wenig populären norddeutschen Gemeinde und deren überwiegend landwirtschaftlich geprägten Charakter zu eröffnen, erschien ebenso lukrativ, wie eine Nebgenbude in der Behring-See.

S. aus H. lehnte sich zurück. Kolumbus, Vasco da Gama, Marco Polo, Robert Scott, Captain Picard und die vielen anderen wussten ja auch nicht, worauf sie sich da einließen, als sie aufbrachen zu neuen Ufern und unentdeckten Welten, und dabei nicht ahnen konnten, was sie erwartet.

Das genügte S. aus H. als moralische Reputation.
Aber war das ausreichend, um das Gelingen zu garantieren und B. aus W. im Falle eines Unfalls nicht zur Meuchelmörderin werden zu lassen?

Eine wirklich verlockende Vorstellung, wenn später in der lokalen Orts-Chronik zu lesen sein würde: " . . . und hier steht das Haus Nummer xx und da, wo eigentlich xx stehen sollte, hat damals ein geistig völlig verwirrter Kretin versucht die Gesetze der Physik neu zu definieren und hinterließ der Gemeinde diesen wunderschönen Krater!

S. fröstelte.

7. Elan, Tatendrang und andere Verfehlungen

07:39

Sein Blick glitt ins Leere.
Seine Augen verloren den Fokus und obwohl die Pupillen punktgerichtet schienen,
war dahinter keine Absicht vorhanden. Süßes Nichtstun, geliebter Müßiggang.
S. aus H., jetzt in N. wohnhaft, übte sich in der Kunst des sinnentleerten
Daseins, saß einfach da und verlor sich dabei in schlichter Existenz,
keinen Gedanken hegend.
Und das war ab und an notwendig, um den Abstand zu wahren und die Dinge
aus der Distanz zu taxieren.

Das Projekt "576" war zum Erliegen gekommen.

Stillstand.

Aus dem Blickwinkel anderer betrachtet sicherlich ein Zustand, der mit einem Makel
behaftet und nicht erstrebenswert schien. Doch nicht so für S. aus H., ganz
im Gegenteil, eher eine willkommene Situation. Das Bild dieses Ungetüms aus Glas,
Stahl, Holz und Wasser hatte nichts von der Präsenz und Leibhaftigkeit eingebüßt,
mit der es einst in seinem Kopf erschien, sich dort einnistete und nun nicht mehr
zum Verblassen zu bewegen war.

So war es denn auch nicht etwa mangelnde Fantasie, die S. mit seinem Stuhl zurück
gleiten, einen Zollstock greifen und aufstehen ließ. Er durchschritt den Raum
unter dem Blick von B. aus W., auch in N. lebend, der auf ihm ruhte und
Unverständnis ausdrückte. S. klappte Segment für Segment des Zollstocks auf,
bis dieser seine maximale Größe von 2 Metern aufwies. Das Unverständnis im Blick
von B.aus W. wuchs und wechselte urplötzlich in eine Mischung aus Ahnung und Erkenntnis.

S. stand in gebührenden Abstand von dem Punkt im Raum entfernt, von dem aus das
Monstrum seinen Anfang nehmen sollte, hob die Messlatte an, die federnd mit einem
Ende eine undefinierte Linie an die Wand zeichnete. Sein Griff wechselte und er
klappte den letzten Teil des Zollstocks wieder ein, um B. aus W. plastisch das
Ausmass der Länge nach zu verdeutlichen.

Bis hierher war kein Wort gefallen.

S. sah B. an, winkelte den Daumen seiner Hand steil an und markierte mit dem Nagel
die Stelle, an der das Mass 170 cm aufweiste.



"Eins Siebzig. Bis hierher!"

Diese anscheinend zusammenhangslosen Worte bedurften keiner Erklärung, jedenfalls
nicht für B. aus W., deren Blick schlagartig den Ausdruck veränderte. S. las in
diesem Ausdruck, wie von einem Plakat einer Litfaßsäule, auf dem als Parole nur
ein Wort prangte:

NIEMALS!

S. verharrte einen Moment und ging im Geiste seinen "Argumente für alle Fälle-Katalog" durch. Mist, kein Treffer!
Als begeisterter Anhänger des Überdimensionalen war seine wortkarge Vorführung nur
zur Veranschaulichung bestimmt gewesen. Keinesfalls war er gewappnet, hier ohne
Lanze und Schild spontan ein Duell zu bestehen. So ein unvorbereiteter Anschlag
auf seine Gelassenheit hinterließ einen tiefen Krater der Ratlosigkeit.

Die wortlose Debatte hatte kümmerliche 10 Zentimeter zum Anlass.
Die Krux bestand in der Länge des Beckens in Relation zur Länge des Gestells.



Gestell 170

Becken 160

Differenz 10

Mathematisch betrachtet lediglich eine kümmerliche Toleranz. Durchaus verzeihlich,
kaum der Rede wert, absolut indiskutabel, aber hier schwang etwas mit, dass das
Prädikat "verhandelbar" vermissen ließ. S. kannte diesen Ausdruck im Gesicht von
B. nur all zu gut: "Mit der Raum-Harmonie nicht vereinbar."

Der Begriff "Kompromiss" zuckte kurz in ihm auf und genoss die Halbwertszeit einer
Silvesterrakete. Bedrohlich verengten sich ihre Lider und die Schmalheit ihrer Augen
zeugten von unumstößlicher Entschlossenheit. S. wusste nur zu gut, wann es Zeit war,
den Colt im Halfter zu lassen, mit dem Rücken der Hand lässig über den Mund zu wischen
und in einer Bewegung kurz mit dem Zeigefinger an die tief gezogene Krempe des Stetson zu tippen.
S. ließ den Daumen sachte die Skala des Zollstocks zurück wandern,
Zentimeter für Zentimeter, bis er bei 160 innehielt.

S. nickte mit dem Kopf leicht nach vorn, senkte die Stirn und legte diese überdies in
Falten, nur um fragend die Zufriedenheit seines Gegenübers abzuverlangen. B. aus W.,
nun im Gefühl der Überlegenheit überging dies wie selbstverständlich und kam sofort zur
nächsten Disziplin.

"Wie hoch, sagtest Du, ist das Gestell?"

S. aus H. schluckte, auf dem Rücken liegend und mit dem Schwert an der Kehle war er nicht
in der Situation seinerseits Forderungen zu stellen. Fieberhaft wurde er der Wahrheit
gewiss, dass ER durchaus mir der Höhe der Anlage zurecht kommen würde. B. war da um
etliche Zentimeter benachteiligt. Wieder wurde der Zollstock dazu benutzt, das imaginäre Ausmass zu verdeutlichen.

B. zog die Schlinge fester:

"Und wie hoch insgesamt?"

Der Daumen hielt inne und es bedurfte wieder keiner Worte. DAS war nun wirklich zu eindeutig.
Wenn B. nicht jedesmal mit Hilfe von Stelzen oder einem Antigravitationsgürtel am Becken hantieren sollte, musste etwas geschehen.

S. kontaktierte einen örtlichen Handwerker der Metallbau-Branche.
Das Kürzen der Metallkonstruktion war in der Vorstellung von S. ein simpler Vorgang:

Ab und wieder dran!

Das die Einfachheit seiner Gedanken den Handwerker belustigte war nachvollziehbar.
Schließlich war S. Schreibtisch-Attentäter und nicht MacGyver. "Nein, nein, erst entzinken,
dann bearbeiten, dann wieder verzinken" vernahm S. am Telefon. Dieser Prozess lies sich
flugs in Euro übersetzen. Die Menge hätte lässig gereicht, um den Landkreis und seine
finanziellen Nöte zu lindern. Da S. allerdings keine politischen Ambitionen hegte,
rang er nach einer Alternative. Der Preis für diese Dienstleistung lag wahrscheinlich
nahe an einer Neuanschaffung. Der Handwerker erbarmte sich seiner und bot unter
qualitativen Zugeständnissen eine akzeptable Lösung an:

Ab und wieder dran!

Abholen und wiederbringen inbegriffen!
Na also, warum nicht gleich so.

Das Gestell verschwand eines Tages und etliche Monde später war es wieder da. S.
registrierte diese Tatsache mit tiefster Zufriedenheit. Endlich sah er sich imstande,
der Konstellation das erste Aufeinander-Treffen zu ermöglichen, die erhoffte Hochzeit
von Frau Becken und Herrn Gestell sollte Ihre Verlobung erfahren. Das Gestell wurde
von seinem angestammten Platz gezerrt und auf die Terrasse bugsiert.
Das metallene Konstrukt wurde der Länge nach drapiert und S. gefroren die Gesichtszüge.

Das Gestell kippelte.

Nicht die verlorene Weltmeisterschaft, die Umsatzsteuer-Erhöhung oder die Vollniete
beim Samstags-Lotto, nein, ein kippelndes Stahlgestell raubte ihm den Glauben an die
Menschheit und ließ Ihn an den Mondexpeditionen zweifeln. S. war der Verzweifelung nah.
Eine nähere Untersuchung brachte Gewissheit. Hier war seiner Meinung nach notdürftig
und herzlos gearbeitet worden. Der Arbeit eines Lehrlings in seinem 2. Monat würdig, bot sich ihm eine Katastrophe dar. Gegen diese deutsche Wertarbeit war die Dünen-Landschaft von Sylt als plan zu bezeichnen, nicht aber dieses Gestell.

Die Option "HandwerkerzurSaumachen-RechtsanwaltGeldverdienenlassen" verdiente diesen Titel nur für einen Augenblick.
Ein guter Bekannter wurde konsultiert und mit dem
Problem betraut. S. war gefordert, seine Begehrlichkeit zu Papier zu bringen, damit
für das Gestell ein Zwilling geklont werden konnte. Die Tatsache, dass der Klon das
Dreifache an finanziellem Aufwand gegenüber der Modifizierung des Originals bedeutete,
traf S. mitten in seiner Ohnmacht, vermochte ihn aber nicht mehr aufzuhalten. Wenn denn nicht einfach und billig, dann eben umständlich und teuer.

S. aus H. sog an seinem Zigarillo und atmete den Rauch sorgsam aus.
Ein Gestell unter dem Carport und ein 2., identisches auf der Terrasse.
Wer konnte das schon von sich behaupten?
Zudem war das Haus bereits Heimat für allerlei Doppel, da kam es seiner Meinung nach
auf eins mehr oder weniger auch nicht mehr an. Der Handwerker verlangte nach Ausgleich für die getane Arbeit, S. hielt mit einer Foto-Dokumentation dagegen, Herr Handwerker war sich keiner Schuld bewusst und erwog ein Gutachten.

2 Gestelle und 1 Becken.

Fluch oder Segen?



Fortsetzung folgt